|
Im Bann der Bücher
Alberto Manguel - Eine Geschichte des Lesens
Es sollte ursprünglich nur ein Essay werden, eine kurze Abhandlung
über die Geschichte des Lesens. Doch die Welt der Bücher
hielt den brasilianischen Autor Alberto Manguel, geboren 1948 in Buenos
Aires, über sieben Jahre gefangen und sie läßt
ihn wohl bis heute nicht los.
Sein Buch "Eine Geschichte des Lesens" ist zum einen
seine eigene, persönliche Geschichte als Leser und zum anderen
eine kurzweilige, historische Abhandlung über die Geschichte
des Lesens, wobei seine persönlichen Erfahrungen immer das
durchschimmernde Unterfutter bilden, wenn er seine spannende Thematik
aus allen erdenklichen Blickwinkeln beleuchtet.
Er schreibt zu Beginn des Buches beispielsweise über die
verschiedenen Akte des Lesens, die Faszination des Lesenlernens,
die Kunst des Vorlesens (Manguel weiß wovon er spricht,
denn er hat dem erblindeten Jorge Louis Borges vorgelesen) und
er beschäftigt sich auch mit den historischen Gegebenheiten:
Wann wurde überhaupt erstmals gelesen, und was passiert tatsächlich
im Kopf des Lesers, wenn er liest?
Der zweite Teil des Buches handelt im Wesentlichen von der Macht
des Lesers, das Lesen in der Zukunft und die Rolle des Übersetzers
als Leser.
Es ist den meisten Lesern schon lange bekannt, daß keiner
ein Buch auf dieselbe Art liest, man liest es sogar auf völlig
andere Weise an verschiedenen Lebensabschnitten. Manguel geht
einen Schritt weiter und erzählt von der unsichtbaren Welt
hinter den Büchern:
"Die Bücher die wir lesen,
sind stets auch die Bücher, die andere gelesen haben. Ich
meine nicht jenes mittelbare Vergnügen, einen Band in der
Hand zu halten, der einst einem anderen Leser gehörte....Ich
meine vielmehr, daß jedes Buch gezeugt worden ist von einer
langen Ahnenreihe anderer Bücher, deren Einbände wir
nie sehen und deren Autoren wir nie kennen werden, die aber in
jedem Buch in unserer Hand nachklingen."
Besonders faszinierend ist seine Beschreibung der sehr häufig
verbreiteten Spezies der Büchernarren. "Und machmal,
wenn uns die Sterne günstig sind, lesen wir mit angehaltenem
Atem, mit einem Erschaudern, als würde jemand oder etwas
"über unser Grab schreiten", als wäre eine
längst verschüttete Erinnerung in uns freigelegt worden
- ein Wiederekennen dessen, was wir nur als flüchtiges Aufflackern,
als einen Schatten in uns spüren, dessen schemenhafte Gestalt
aufsteigt und wieder in uns versinkt, bevor wir erkennen, worum
es sich handelt - danach sind wir älter und klüger geworden."
Auf jeder Seite des Buches ist spürbar, daß hier einer
schreibt, den die Buchstaben restlos in Besitz genommen haben
und sein Leben bestimmen. Diese Obsession vermittelt er auf äußerst
abwechslungsreiche und interessante Weise seinem Leser, der oftmals
sicherlich diese Leidenschaft mit all ihren Symptomen teilt.
Die Illustrationen des Bandes, die kurzen, übersichtlichen
Randbemerkungen und der gelungene Einband machen das Buch zu einem
Kleinod, das in keiner Bibliothek eines Buchliebhabers fehlen
wird - wobei die Beschaffungswege nicht so genau durchleuchtet
werden sollten, denn
"kein Bannfluch scheint die Leser abzuschrecken,
die sich darauf versteift haben, ein bestimmtes Buch in ihren
Besitz zu bringen. Der Drang ein Buch zu besitzen, der alleinige
Eigentümer zu sein, ist eine Art der Begehrlichkeit, der
sich nichts Vergleichbares entgegensetzen läßt."
Alberto Manguel - Eine Geschichte des Lesens
übersetzt aus dem Amerikanischen von Chris Hirte
1998, Berlin, Verlag Volk & Welt, 429 S., ,
2000, Reinbek, Rowohlt Taschenbuch, 10,50 € (broschiert)
ebenfalls von A. Manguel
Im Spiegelreich
|