Im richtigen Leben heißt der Schweizer Autor Pascal Mercier
eigentlich Peter Bieri und lehrt an der Berliner Universität
Philosophie.
So wie es nach seinem zweiten, jetzt erschienenen Roman, "Der
Klavierstimmer" aussieht, hat er sein Thema, oder das Thema
ihn, gefunden.
Im Mittelpunkt seiner Romane steht die Sprache. Während er
in seinem Erstling "Perlmanns Schweigen" einen Übersetzer
mit den Tücken seines Berufsstandes ringen läßt,
der nichts mehr zu sagen weiß, obwohl er die Sprache mehr
liebt als alles andere, geht Mercier in seinem neuen Werk der
Frage nach, inwieweit sich die Person und ihre Identität
mittels des gesprochenen oder geschriebenen Wortes abgrenzen kann.
Doch keine Angst, Mercier verpackt den philosophischen Hintergrund
in eine psychologisch reizvolle, äußerst fesselnde
Familientragödie.
Die Zwillinge Patrice und Patricia werden überraschend aus
Paris bzw. Chile nach Hause gerufen, da ihr Vater verhaftet worden
ist. Ihm wird vorgeworfen, bei einer Opernaufführung auf
offener Bühne den Tenor erschossen zu haben. Hat der besonnene,
ruhige Mann, der ganz in seinem Beruf als Klavierstimmer aufging,
und dem die Musik die Welt bedeutet, tatsächlich diese Tat
begangen?
Die Zwillinge wollen die ganze Wahrheit herausfinden und so beschließen
sie, daß jeder seine Eindrücke in einem eigenen Tagebuch
aufschreiben soll, das sie am Ende austauschen wollen.
Für den Leser entwickelt sich in diesen Aufzeichnungen jeweils
aus weiblicher und männlicher Sicht eine unglaubliche Spannung.
Die verschiedenen Blickwinkel, die enge Beziehung der Zwillinge
untereinander sowie zu ihren Eltern, geben Einblicke in ein grausames
Familiendrama, das sich stückweise in seiner ganzen Dramatik
enthüllt .
Ein wenig erinnert die Komposition des "Klavierstimmers"
an Javier Marias Bestseller
"Mein Herz so weiß".
Beide Bücher beginnen mit einem ungewöhnlichen Todesfall,
die Neugierde des Lesers ist geweckt und ehe er sich versieht,
ist er in ein dichtes Geflecht an Beziehungen hineingezogen worden.
Allerdings liest sich Mercier weitaus einfacher und flüssiger
als sein spanischer Kollege.
Doch er ist ein ebenso gebildeter und kluger Autor. Kein Element
steht in seinem Roman unüberlegt, alles ist intelligent durchdacht
und miteinander verknüpft. Während der Klavierstimmer
unverdrossen Abend für Abend an seiner neuen, wiederum erfolglosen
Oper "Michael Kohlhaas" komponiert, wird er selbst zu
dieser Kleist`schen Figur im eigenen Leben.
Am Ende, wenn die Tagebücher ausgetauscht werden, bleibt
wieder die Sprache übrig und die Frage: "... ist die
stille Beschäftigung mit Worten die wirkungsvollste Art,
das Leben zu verändern - wirkungsvoller als die lauteste
Explosion?"