Die kleine Louise wächst im fernen
Bandung auf. Damals gehörte die heutige Insel Java zu Niederländisch-Indien.
Dort lebt sie in einer Art Zauberwelt zusammen mit Göttern
der indonesischen Legenden und Mythen. Ihre Umgebung nimmt sie
hauptsächlich durch ihren kindlichen Märchenblick wahr.
Die schöne Mutter, die mit den Nachmittagen für ihre
Teedamen, ihren Romanen und ihren wundervollen Kleidern ausgelastet
ist, liebt ihre jüngere Schwester und ihre kleine Tochter
abgöttisch. Der Vater von Louise ist Arzt und seine Arbeit
geht ihm über alles, so daß er nur selten zu Hause
anzutreffen ist.
Für Louise erhält die Hülle ihrer indonesischen
Zauberwelt immer empfindlichere Risse, als sie mit ihrer Familie
zu einer langen Schiffsreise zu den Großeltern aufbricht.
Durch den lebhaften Briefwechsel mit der Großmutter in Holland,
ist der Familie bekannt, daß sie sich im Jahr 1939 mit dieser
Reise auf ein gefährliches Abenteuer einlassen, denn sie
sind jüdischer Abstammung. Doch wie knapp Vater und Tochter
wirklich überleben, während die Mutter nach England
weiterfährt, das hätten sie sich vorher nicht träumen
lassen.
Helga Ruebsamen, die selbst in Batavia geboren wurde, taucht mit
ihrem Roman "Das Lied und die Wahrheit" in ihre eigene
Kindheit ein und unternimmt den Versuch "aus dem Teich der
Erinnerungen, die (immer) gleichen Bruchstücke herauszufischen.
Das viele Aufrühren hat die Scherben der Vergangenheit nicht
sauberer und erkennbarer gemacht. Nur widerwillig gibt das Gedächtnis
die schmutzigen Versatzstücke frei." Genau hier liegt
die Anziehungskraft des Buches.
Mit einem Kinderblick, der in rosa Watte gepackt ist und aus einer
Welt voller Dämonen und Geister blickt, werden die Schrecken
in der eigenen Familie, der Selbstmord der Halbschwester, der
Seitensprung der Mutter mit demselben distanzierten Blick beschrieben,
wie die politischen Veränderungen, die Besetzung Hollands,
die unmittelbar in die eigene Familie hineinspielen.
Ein kleiner Mangel, den ein Roman, der aus der Perspektive eines
Kindes häufig hat, ist, daß der Autor zu sehr ins Nebulöse
abgleitet. Bei Helga Ruebsamen ist dies am Ende ihrer Geschichte
der Fall. Hier wäre ein etwas genauerer Blick für die
Realität im besetzten Holland wünschenswert, so daß
die Entwicklung des kleinen verträumten Mädchens in
ihrer Geisterwelt mit der verschärften Wahrnehmung der politischen
Tatsachen deutlicher hervortritt.