Bookinists Buchtipp zu


Ein Freund der Erde

von T C Boyle


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Drop City

von T C Boyle
© 2003

Der gespaltene Fels
T. Coraghessan Boyle - Riven Rock

Boyle zu lesen ist ein Erlebnis und Genuß, wie man ihn nur selten im Jahr hat; wort- und sprachgewaltig ragen seine Bücher aus den Neuerscheinungen heraus.

Die Geschichte des Buches ist bedenklich dürr und im Prolog des Romans "Welt ohne Frauen" auf den ersten beiden Seiten bereits fast vollständig erzählt: Der Millionenerbe Stanley McCormick, erfolgreicher Harvard Student, groß, blond, sportlich, zuvorkommend, wohlerzogener Gentleman und fortschrittlicher Automobilist, heiratet, neunundzwanzigjährig, 1904, die Millionenerbin Kathrine Dexter, die mit einer ebensolchen Aufzählung charakterisiert werden kann.

Doch ab diesem Zeitpunkt entwickeln sich die Dinge nicht mehr so, wie in den Klatschspalten der Regenbogenpresse.

Der reiche Stanley hat massive psycho-sexuelle Probleme und folgt seiner älteren Schwester, die "an einer Krankheit litt, einer Krankheit, die man nicht sah, nicht sofort und nicht an der Oberfläche. Ihre Krankheit schien sich zu vertiefen, während sie in sie hineinwuchs, schien sich zu dehnen und weiten, um sie aufzunehmen wie die Haut einer Anakonda."

Der Roman setzt ein mit der Zugreise Stanleys in Begleitung seines Arztes und seiner persönlichen Pfleger von einer Bostoner Irrenanstalt in sein 35ha großes Ein-Personen-Privatsanatorium "Riven Rock" in Kalifornien.

Wie in seinem Roman "Worlds End" wendet Boyle hierbei eine schriftstellerische Webtechnik an, mit der er die einzelnen Kapitel seines Buches ineinanderfügt, Überkreuzungen und Verzahnungen herstellt wie bei einem Reißverschluß - zunächst weit geöffnet: Der Leser, gleichzusetzen mit dem ZIP-Schlitten, der die beiden Stränge, auf denen die Kindheits-und Erwachsenenerlebnisse des Protagonisten Stanley sitzen, wird unter dem starken Zug von Daumen und Zeigefinger des Autors Boyle die mehr oder weniger banale Kontur von Stanleys Leben begreifen, je weiter die Schließe nach oben geschoben wird.

In seinem Roman "Worlds End" gelang Boyle das genialer als hier im "Riven Rock", allerdings auch wiederum wesentlich besser als in "Willkommen in Wellville", weil er in seinem neuen Roman seine Geschichte nicht nur aus den Blickwinkeln von Katherine und Stanley erzählt, sondern noch eine dritte (proletarische) Sicht aus den Augen des jahrzehntelangen Pfleger Eddie O´Kane vermittelt.

Und so ist Boyles Buch nicht nur die Geschichte eines studierten und wohlerzogenen WASP-Ehepaars, das wegen einer Psychopathia sexualis seine in den Gazetten als Jahrhundert-Hochzeit gefeierte Ehe offenbar niemals vollziehen kann, sondern ganz besonders die Entwicklung eines armen, irischen Mittelschichtmenschen, dessen Libido ihn früh zum Vater und Ehemann macht, an der Seite des lebenslang, absolut frauenlos weggesperrten Stanley während seiner Freischichten zum zügellosen Alkoholiker und Herumficker.

O´Kane, eine Figur so stark wie Mungo Park aus Boyles Roman "Wassermusik" über den Entdecker des Niger, hat nur - obwohl teilweise authentisch - keine so intensive historische Geschichte.

Trotzdem ist der Roman ein handwerklich durch und durch gut erarbeiteter Boyle, der nicht wie "Wellville" schnell für irgendeinen deutschen Markt in die Maschine getippt wurde.

Wunderschöne Sprachbilder entzücken Auge und Hirn des Lesers:

"Eine tote Taube mit Beinen so starr wie Fensterkreuze", "Inzwischen war es Nacht. Der Zug fraß sich mit tristem, gedämpftem Geratter über die Schienen.", "... tauchte plötzlich Stanley auf, er schritt über die Anhöhe und quer über das Spielfeld, mit Schutzbrille und einem Ledermantel, der so staubig war, als hätte man ihn zur Vorbereitung auf ein Kannibalenbankett in Mehl gewendet."

"... und die nassen Haarsträhnen sahen aus wie auf eine Glühbirne gepappte Holzwolle.", "... und trank dort genug Bier, um ein Schiff zu Wasser zu lassen."

"Und dann Rosaleen. Sie war so geistlos, dumm wie eine Miesmuschel, brabbelte den ganzen Tag vom Nähen und von Schnittmustern, und was nun hübscher sei, das blaue oder das gelbe, bis er manchmal vom Tisch aufspringen und ihr die Kehle zudrücken wollte. Und ihre Haushaltsführung - oder das Gegenteil davon! Sie war ebenso dreckig und desorganisiert wie ihre käsegesichtige Mutter und ihre knolligen Brüder, schmutzige Iren, Baracken-Iren, die es nicht wert waren, seiner Mutter den Rocksaum zu küssen, denn bei den O´Kanes hatte man nie auch nur ein Staubkorn gesehen, gleichgültig wie arm sie waren. Außerdem nahm sie zu, und das trieb ihn zur Raserei, denn bei jedem Blick auf sie, auf das Fett, das sie an Hüften und Schenkeln ansetzte und das ihre Brüste wie zwei Ballons aufblies, bis sie kaum noch gerade stehen konnte, war er sich sicher, daß sie wieder schwanger war. Und das hielt er einfach nicht aus.. Nicht in seinem Alter, in dem er noch das ganze Leben vor sich hatte. Vielleicht war es unrecht, aber so, wie er sich fühlte, würde ihm die Belastung mit einem weiteren Kind selbst ins Irrenhaus bringen - sie würden ihn an Mr. McCormick anketten müssen, und dann könnten Sie einander anschreien und sich Seite an Seite die Hosen vollpissen."

Und dabei erhält O´Kane so kompetente Belehrung: "»Sex ist die Wurzel und der Urgrund allen menschlichen Tuns, Edward, vom morgendlichen Aufstehen und dem Gang zur Arbeit bis zum Erobern fremder Nationen, von der Erfindung der Glühbirne bis zum Kauf eines neuen Mantels, vom Fleischverzehr bis zum Taxieren jeder vorbeigehenden Frau als potentielle Paarungspartnerin. Sex ist das A und O, unser Daseinszweck, eine unbezwingbare Lebenskraft.« Der Doktor war einen Schritt näher getreten. O´Kane sah die dunklen stoppligen Pfefferkörnchen an seinem Kinn. »Wir sind Tiere, Edward, vergessen Sie das nie.« "

Wer Geschmack an diesem Roman Boyles gefunden hat sollte unbedingt noch "Wassermusik " und " Worlds End" lesen, in denen der Schriftzug des Autors noch steiler und deftiger, der Blick auf seine zwischen den Buchseiten geplätteten Opfer sogar noch schärfer und sezierender war.

Auch sein Roman "Grün ist die Hoffnung" und seine in Deutschland veröffentlichten Kurzgeschichten und Erzählungen " Wenn der Fluß voll Whisky wär" und " Tod durch ertrinken" sind ein wahres Feuerwerk an Witz und beschreibender Brillanz.

" America", " Der Samurai von Savannah" und vor allem " Willkommen in Wellville" gehören eher zu seinen schriftstellerischen Brotproduktionen, die ein angehender Kapitalist aus Kalifornien eben auch braucht., die andererseits aber in ein Lebenswerk des Autors passen, das sich mit dem Blick eines Insektenforschers zu unterschiedlichen historischen Epochen durch das Gebaren und Verhalten verschiedener amerikanischer Gesellschaftsschichten zueinander mit der ätzenden Genauigkeit einer Säure auf den Grund frißt.



T. Coraghessan Boyle - Riven Rock
aus dem Amerikanischen von Werner Richter
Originaltitel: 1998, "Riven Rock"
1998, München, Hanser Verlag, 566 S.,

(gebunden nicht mehr erhältlich) als Taschenbuch bestellen




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AUDIOBOOK


Hinter deiner Schulter geht die Welt unter
Töne zu Texten von TC Boyle

© 1999

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© by Thomas Haselberger
rezensiert am 1998-Sept-04

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger

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