Achterbahnfahrt des Lebens
Rafael Chirbes - Die schöne Schrift

Eine Achterbahn hat Ana niemals in ihrem Leben bestiegen. Genausowenig sind sie und ihr Mann jemals verreist, doch trotzdem hält das Leben für Ana turbulente Loopings bereit. Ana ist eine einfache spanische Frau und lebt in Bovra, in der Gegend von Valencia. Am Ende ihrer Tage zieht sie für ihren Sohn ihr Resümee. In einem inneren Monolog, in kurzen Episoden, deren Abfolge ihr die Erinnerung diktiert und nicht die Chronologie der Ereignisse, erzählt sie vom Krieg und wie sie seinen Vater kennengelernt hat.

Als ihr Mann von der Front zurückkehrt wird sein jüngerer Bruder Antonio als Sozialist von den Falangisten verhaftet. Die hungrigen, armseligen Nachkriegsjahre in Spanien beginnen, und weder Ana noch ihr Mann ahnen, daß ihr Leben auf etwas Unvermeidbares zuläuft, "das uns so viel Schaden zufügen würde wie das Elend, der Krieg und der Tod."

Antonio, der sich immer als der Künstler und Lebemann der Familie sieht, kommt aus der Haft frei und baut zusammen mit Ana und ihrem Mann eine Schnitzerwerkstatt auf. Zunächst scheint das Glück wieder im kleinen Rahmen denkbar, doch Antonio wird unruhig, hört auf zu arbeiten, bestiehlt seinen Bruder und strolcht tagelang durch die Felder. Eines Tages bringt er Isabel mit. Sie ist die Frau, die englisch spricht, mit wunderschöner Schrift melancholische Tagträumereien in ihrem Tagebuch festhält und Antonio seiner Familie entreißt, da die beiden beschlossen haben, den steilen Weg des finanziellen Wohlstands zu erklimmen. Es gelingt ihnen, doch der Preis, der dafür von allen Familienmitgliedern zu bezahlen ist, wird unangemessen hoch sein.

Rafael Chirbes, ein in Deutschland bei Publikum und Kritik sehr erfolgreicher spanischer Autor ("Der Schuß des Jägers", "Der lange Marsch"), beschreibt das harte, schwere Leben einer einfachen spanischen Frau, in skelettartigen Sätzen. Schlaglichtartig leuchtet er kurze Episoden ihres Lebens aus und oft erschließt sich der ganze Zusammenhang für den Leser erst bei einer zweiten Lektüre, die sich bei diesem kurzen Buch aber durchaus lohnt.

Mit ungeheurer Raffinesse macht Chirbes deutlich, daß häufig die großen, historischen Umwälzungen für die Betroffenen eine Menge Leid und Not mit sich bringen. Doch in der Solidarität im gemeinsam erlittenen Elend läßt sich alles ertragen. Viel schwieriger und hoffnungsloser ist der Kampf im Kleinen innerhalb der Familie. Hier ist oft das Zusammentreffen zweier Personen gleich einem Tropfen Gift, der das Mahl für alle ungenießbar macht.



Rafael Chirbes - Die schöne Schrift
Aus dem Spanischen von Dagmar Ploetz
Originaltitel: 1992, "Originaltitel: La buena letra"
1999, München, Kunstmann Verlag, 143 S., 2
DM
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© by Manuela Haselberger
rezensiert am 1999/02/25
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Quelle: http://www.bookinist.de
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