Lesezitat nach
JMG Le Clézio - Ein Ort fernab der Welt
Plötzlich tauchte er im verräucherten, von Öllampen beleuchteten Raum auf. Er riss die Tür auf, und einen Augenblick hob sich seine Silhouette in der Dunkelheit vor dem Eingang ab. Jacques hat es nie vergessen. So groß, dass sein Kopf fast den Türrahmen berührte, die Haare lang und struppig, das Gesicht sehr hell und mit kindlichen Zügen, seine langen Arme und breiten Hände, sein Körper in eine zu knappe, hochgeknöpfte Jacke gezwängt. Vor allem diese verstörte Miene, dieser verkniffene, von Trunkenheit getrübte Blick voller Bosheit. Regungslos blieb er an der Tür stehen, als zögere er, dann stieß er Schimpfworte, Drohungen aus, ballte die Fäuste. Es wurde still im Raum.
Ich denke daran, wie mein Großvater zum ersten Mal Rimbaud gesehen hat. Das muss Anfang 1872 gewesen sein, im Januar oder Februar. Ich kann das Datum an Amalias Todestag und am Besuch von Major William in dem Beerdigungsunternehmen und Devotionaliengeschäft feststellen, das sich im Erdgeschoss seines Hauses in der Rue Saint-Sulpice befindet. Nach ihrem Bruch mir dem Patriarchen, ihrer Vertreibung aus Gut Anna und ihrer Abreise aus Mauririus gegen Ende 71 hatten Antoine und Amalia eine Wohnung in Paris im Viertel Montparnasse genommen. In jenem Winter herrschte In Paris eine tödliche Kälte, in der Seine schwammen Eisschollen. Amalia hatte sich noch nicht richtig von dem Fieber erholt, an dem sie nach Léons Geburt gelitten hatte. Vielleicht war sie durch den Streit mit Alexandre noch anfälliger geworden. Sie starb in den letzten Januartagen an einer Lungenentzündung. Léon war noch kein Jahr alt. Mein Großvater Jacques war knapp neun. Als er seinen Onkel William begleitete, muss er in das Café an der Ecke Rue Madame / Rue Saint-Sulpice gegangen sein. Der Onkel dachte wohl, dass Jacques noch zu klein sei, um in dem Geschäft einen Kranz auszusuchen. Er ließ ihn vor einer Schale Glühwein in dem Bistro zurück.
Es war das erste Mal, dass Jacques Mauritius verlassen hatte. In Frankreich kam ihm alles herrlich und erschreckend vor, die fünfstöckigen Häuser, das Rattern der Kutschen auf dem Pflaster, die Züge, die öffentlichen Bäder in Montparnasse mit ihren hohen Schornsteinen, die schwarzen Rauch in den grauen Himmel spien, die Schneewehen an den Parkrändern und vor allem die Menschen, die dicht gedrängte Menge, die sich stoßend und drängelnd vorwärts schob. Die Männer hatten blasse, bärtige Gesichter, Hüte wie Ofenrohre, pelzgefütterte Umhänge, Spazierstöcke, Gamaschen. Die Frauen trugen unzählige Lagen von Röcken, Miedern, Kleidern und Mänteln übereinander, und auf ihren kleinen Köpfen mit den dicken Haarknoten waren sonderbare, schleierbesetzte Hüte mir Nadeln festgesteckt. Jacques musste sich an Onkel William drücken, seine kleine Hand wurde von der Pranke des Riesen fast zerquetscht.
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