Bookinist presents





Das Literarische Quartett
  Marcel Reich-Ranicki -   Hellmuth Karasek -   Iris Radisch


am 18. August 2000 im ZDF aus Salzburg mit folgenden Titeln
weitere Titel


Urs Widmer
Der Geliebte der Mutter


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Jean Echenoz
Ich gehe jetzt


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Zeruya Shalev
liebesleben


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Titel




Michael Kumpfmüller
Hampels Fluchten


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Julia Franck
Bauchlandung


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zur B oo k inist
© by Manuela Haselberger
empfohlen ab 25.7.2000


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Urs Widmer - Der Geliebte der Mutter

Heute ist der Geliebte meiner Mutter gestorben. Er war steinalt, kerngesund noch im Tod. Er sank um, während er, sich über ein Stehpult beugend, eine Seite der Partitur der Sinfonie in g-Moll von Mozart umblätterte. Als man ihn fand, hielt er einen Notenfetzen in der toten Hand, jene Hornstöße zu Beginn des langsamen Satzes. Er hatte meiner Mutter einmal gesagt, die g-Moll-Sinfonie sei das schönste Stück Musik, das jemals komponiert worden sei.- Er las seit immer Partituren, so wie andere Bücher lesen. Alles, was ihm in die Hände fiel, Archaisches und Oberflächliches. Vor allem aber sah er sich nach Neuem um. Erst im Alter, so gegen neunzig, holte ihn das Bedürfnis ein, nochmals das schon Vertraute zu erfahren, anders nun, in der Beleuchtung der schwindenden Lebenssonne. Nun las er den Don Giovanniwieder, den er einst als Jüngling mit brennenden Augen verschlungen hatte, und die Schöpfung. - Er war Musiker gewesen, Dirigent. Drei Tage vor seinem Tod hatte er in der Stadthalle sein letztes Konzert dirigiert. György Ligeti, Bartók, Conrad Beck. - Die Mutter liebte ihn ihr ganzes Leben lang. Unbemerkt von ihm, unbemerkt von jedermann. Niemand wußte von ihrer Passion, kein Wort sagte sie jemals davon. "Edwin! Flüsterte sie allerdings, wenn sie am See stand, allein, mit ihrem Kind an der Hand. Von Enten umschnattert, im Schatten selber, schaute sie auf das in der Sonne leuchtende Ufer gegenüber. "Edwin." Der Dirigent hieß Edwin. S. 5


DANN heiratete Edwin. Alle schienen von seiner Hochzeit gewußt zu haben, jede und jeder, seit Wochen. Für die Mutter, die beiläufig und Tage danach von dem herrlichen Fest hörte - ''Wo hast du denn gesteckt? Es war großartig!" -, war es, als habe der Blitz in sie eingeschlagen. Sie saß starr und blind auf einem Stuhl, versteinert in einer Welt, die sich um sie drehte, ohne Atem vielleicht, ohne Tränen gewiß, Schreie in ihr drin, Glut und Eis. Edwins Frau war die Alleinerbin der Maschinenfabrik. Ihr Vater, Besitzer des Unternehmens in der dritten Generation, war an einem Schlaganfall gestorben, und Edwin war ihr tröstend beigesprungen. Sie war eine Schönheit. Sie floß wie ein Gewässer aus Gold und Silber aus ihrem Auto, einem Maybach mit Weißwandreifen. Ein makelloses Gesicht mir großen Lippen, blinkenden Zähnen, Mandelaugen. Große Hüte im Sommer. Im Winter Pelze. Edwin zog in jenes Gut über dem See, wo er nun zwischen alten und neuen Meistern residierre. Seine Frau liebte Bilder - Vermeer war ihr Liebling, und sie hatte tatsächlich einen - und sammelte mit kühner Klugheit zeitgenössische Maler. Sie besaß mehr Picassos und Matisses als alle Schweizer Museen zusammen, und erst noch die besten. S. 73

HEUTE ist der Geliebte meiner Mutter zu Grabe getragen worden. Ich hatte mich verspätet - hatte noch, unsinnigerweise, meine Hemden gewaschen - und kam erst vor dem Großmünster an, als die Feier bereits begonnen hatte. Der ganze Platz war voller Trauernder, die in der Kathedrale einen Einlaß mehr gefunden hatten. Tausende, der Platz war schwarz bis zu den Zunfthäusern an seinem anderen Ende. Ich schaffte es dennoch, ins Kircheninnere zu gelangen, drängelnd, mit Hilfe meiner Ellbogen. Neben einem schweren, romanischen Pfeiler blieb ich stecken und mußte mich auf die Zehenspitzen stellen, um überhaupt etwas zu sehen. Im Kirchenschiff saßen, so bewegungslos, als seien sie die Toten, Damen mit schwarzen Hüten und Gesichtsschleiern und Herren, von denen manche einen Zylinder auf den Knien hielten. Vorne, weit vorn waren die Würdenträger, viele in Uniform. Ein paar Bundesräte vermutlich, die Spitzen der Wirtschaft und der Kultur. Von soweit hinten konnte ich sie nicht genau sehen. Natürlich besetzten die Bodmer, die Lermitier und die Montmollin die erste Reihe. Ich erkannte, ihrer weißen Haare wegen, die Doyenne der Montmollin, eine hundertjährige Dame, von der der Volksmund sagte, daß sogar Klapperschlangen vor ihr Reißaus nähmen. S. 128

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Jean Echenoz - Ich gehe jetzt

Ich gehe jetzt, sage Ferrer, ich verlasse dich. Ich lasse alles hier, aber ich gehe weg. Und da Suzannes Blick verloren über den Boden wanderte und dann grundlos an einer Steckdose hängenblieb, ließ Felix Ferrer den Schlüssel auf der Ablage am Eingang liegen. Dann knöpfte er seinen Mantel zu, ging hinaus und zog sacht die Haustür hinter sich ins Schloss.

Draußen dann, ohne auf Svzannes Wagen zu schauen, der stunxnl und ndt beschlagenen Scheiben unter einer Straßenlaterne stand, schlug Ferrer den Weg zu der sechshundert Meter entfernten Haltestelle Corentin-Celton ein. Gegen neun Uhrabends, an einem Sonntag Anfang Januar, war die Metro fast völlig leer. Nur ein knappes Dutzend Männer fuhr mit, alleinstehende, wie offenbar auch Ferrer seit fünfundndzwanzig Minuten einer war. Normalerweise hätte er sich gefreut, einen unbesetzten Wagenabschnitt mit gegenüberliegenden Bänken zu finden, ein kleines Zugabteil ganz für sich allein, denn diese Anordnung war ihm in der Metro am liebsten. Heute Abend fiel es ihm überhaupt nicht auf, er war abgelenkt, wenn auch weniger betroffen als gedacht durch den Auftritt, den er eben mit Suzanne erlebt hatte, einer Frau mit schwierigem Charakter. Er hatte eine heftigere Reaktion erwartet, Geschrei, Drohungen, Beleidigungen, doch jetzt war er erleichtert, obwohl durch die Erleichterung wieder eigenartig verstimmt. S. 5

Sechs Monate später, wiederum gegen zehn, stieg derselbe Felix Ferrer vor Terminal B des Flughafens Roissy-Charles-de-Gaulle unter einer unschuldigen, gen Nordwest verhangenen Junisonne aus einem Taxi. Da Ferrer sehr früh dran war, hatte der Check-in für seinen Flug noch nicht begonnen: Eine knappe Dreiviertelstunde lang musste der Mann durch die Hallenstreifen, vor sich ein Gepäckwagen mit einem Täschchen, einer Tasche und seinem Mantel, der für diese Jahreszeit zu schwer war. S. 7

In Quebec angelangt, nahm Ferrer ein Taxi der Marke Subaru zum Hafen, Abschnitt Küstenwachschiffe, Mole Nr. 11. Das Taxi setzte ihn vor einer Tafel ab, auf der mit Kreide geschrieben stand: FAHRT-ZIEL : ARKTIS, und zwei Stunden darauf stach der Eisbrecher NccC Des Groseilliers gen hohen Norden in See. S. 9

Seit fünf Jahren, bis zu jenem Januarabend, der ihn das Einfamilienhaus in Issy verlassen sah, waren die Tage von Felix Ferrer sankt und sonders nach demselben Schema abgelaufen. Um halb acht aufstehen, dann zehn Minuten auf der Toilette in Gesellschaft irgendeines Druckwerks, ob Essay über Ästhetik oder schlichter Prospekt, dann Zubereitung des Frühstücks mit wissenschaftlich präzise dosierten Vitaminen und Mineralsalzen für Suzanne und sich. Sodann vollzog er zwanzig Minuten Gymnastik und hörte dabei im Radio die Presseschau. Darauf w'eckte er Suzanne und lüftete das Haus. S. 11

Das war jetzt also ein hundert Meter langer, zwanzig Meter breiter Eisbrecher: 13.600 Pferdestärken aus acht gekoppelten Dieselturbinen, Höchstgeschwindigkeit 16,20 Knoten, Tiefgang 7,16 Meter. Man hatte Ferrer eine Kajüte zugewiesen: an die Wände gedübelte Einrichtung, Waschbecken mit Fußhebel-Wasserhahn, Videoplayer, ins Kopfende der Ein-Mann-Koje geschraubt, und Bibel in der Nachttischschublade. S. 15

Der Tag, an dem jemand den Polarkreis zum ersten Mal überquere, werde normalerweise festlich begangen. Das teilte man Ferrer wie nebenbei mit, in scherzhaftem, leicht einschüchterndem Tonfall, aus dem etwas Unausweichliches, Initiatorisches sprach. S. 25

Das Kajütenfenster warf ein blasses, blaugraues Rechteck auf die Wand über der Koje.

Er versuchte, seine Stellung so gut es ging durch leichte Schlängelbewegungen auf der Stelle zu stabilisieren: vergebens. Als er sich nun bemühte, sie, diese Bewegungen, zu verstärken, um etwas mehr von dem warmen Terrain zu erobern, warf ihn ein jäher Stoß der Gegenpartei rücklings um: Ferrer purzelte aus der Koje.

In der Koje, endlich allein, drehte sich jemand behaglich seufzend um und schlummerte wieder ein: Mireille, die Krankenschwester, die jetzt bequem weiterschnurchelte. S. 25

Der Eisbrecher setzte Ferrer in Wagner Bay ab und fuhr sogleich weiter.

An Land gegangen, sah Ferrer den Des Groseilliers im Nebel fortziehen, seine Masse löste sich auf, es blieben nur die Umrisse, dann lösten die sich auf, es blieben nur ihre dunkelsten Punkte, die schließlich ebenfalls verdunsteten. S. 37

Nachdem sie zunächst sich selber vorgestellt hatten, machten sie Ferrer mit den Schlittenhunden bekannt. S. 38

Sie brachen selbigen Tages auf, da fahren sie davon. Ausgerüstet sind sie mit Savage 116 FFS-Allweather-Karabinern, 15 x45es-Feldstechern mit Bildstabilisator, mit Messern und Peitschen. Napaseekajaks

Messer hat einen Griff aus Usik, dem Penisknochen des Walrosses, dessen Elastizität, Nachgiebigkeit und Porösität ihm ideale Griffeigenschahen verleihen. Angutretoks ist etwas weniger traditionell, ein White Munter II Puma mit Kraton-Griff. S. 39

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Zeruya Shalev - liebesleben

... ich arbeite daran

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Michael Kumpfmüller - Hampels Fluchten

... Buch liegt noch nicht vor ...