Der erste Anruf kam am 2. November, auf den Tag genau fünf Wochen nach dem Tod seiner Frau. Zwischen beiden Ereignissen hatte Sutter keinen Zusammenhang hergestellt. Doch die Uhrzeit - 23 Uhr 17 - blieb haften, denn der Anruf wiederholte sich in der folgenden Nacht auf die Minute genau, und seither hätte Sutter die Uhr danach richten können.
Das war im Wohnzimmer nicht nötig, denn die Uhr an der Wand, auf die er das erste Mal erstaunt, dann ärgerlich geblickt hatte, richtete ihren Gang sekundengenau nach einem Impuls, den sie, laut Gebrauchsanweisung, aus der Gegend von Frankfurt empfing, also über eine Entfernung von 500 Kilometern. Ruth hatte, gegen alle Gewohnheit, das Spielzeug von einem Versandhaus bestellt, vielleicht weil die zuverlässige Pedanterie seiner Zeitmessung angesichts der Frist, die ihr blieb, etwas Belustigendes hatte.
Als es läutete, saß Sutter im Märchensessel. Das Erbstück von Ruths Tante hatte seinen Namen, weil sich die Kranke auf ihm einrichtete, wenn er Märchen vorlas, Abend für Abend, um ihr die Angst vor der Nacht zu nehmen. Oft konnte er dafür sorgen, daß sie schon in diesem Sessel ein leichter Schlaf überraschte, der mit keinem Medikament herbeizulocken war. Die massiven, die ihr der Arzt verschrieben hatte, lehnte sie ab: Ich will keinen Todesschlaf, bevor ich tot bin.
Im Märchensessel hockte er nun selbst und las, ertappte sich dabei, daß er Ruths Stellung einzunehmen versuchte, nur brachte er seine langen Beine, wenn er sie anzog, zwischen den hohen Armstützen nicht unter.
Er las Kriminalromane, von denen er einen Stapel im Keller gefunden hatte. Dort gilbten sie seit seiner Studentenzeit vor sich hin. S. 11
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