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Das Literarische Quartett
  Marcel Reich-Ranicki -   Hellmuth Karasek -   Iris Radisch
  und als Gast Elke Schmitter, Literaturkritikerin und Autorin


am 2. März 2001 im ZDF mit folgenden Titeln

Die Bücher der Sendung


Tim Parks
Schicksal


Sebastian Haffner
Geschichte eines Deutschen


Peter Härtling
Hoffmann oder
Die vielfältige Liebe


 

Haruki Murakami
Naokos Lächeln



Adolf Muschg
Sutters Glück



zur B oo k inist
© by Manuela Haselberger
empfohlen ab 10.02.2001


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  Lesezitat nach
Sebastian Haffner - Geschichte eines Deutschen

Daß die meisten Deutschen damals, im Februar 1933, an die kommunistische Brandstiftung glaubten, kann man ihnen, scheint mir; nach alledem nicht übelnehmen. Was man ihnen übelnehmen kann, und worin sich zum ersten Mal in der Nazizeit ihre schreckliche kollektive Charakter-schwäche zeigte, ist, daß damit die Angelegenheit flir sie erledigt war. Daß man ihnen, jedem einzelnen von ihnen, sein bißchen verfassungsmäßig garantierte persönliche Freiheit und Bürgerwürde wegnahm, nur weil es im Reichstag ein bißchen gebrannt hafte - das nahmen sie mit einer schafsmäßigen Ergebennheit hin, als müßte es so sein. Wenn die Kommunisten den Reichstag angesteckt hatten, war es doch ganz in Ordnung, daß die Regierung »hart zupackte«! Am nächsten Morgen diskutierte ich diese Dinge mit ein paar Referendarkollegen. Alle waren sehr interessiert für die Täterschaftsfrage des Reichstagsbrandes, und mehr als einer äußerte seine augenzwinkernden Zweifel an der offiziellen Version. Aber keiner fand etwas Besonderes dabei, daß man in Zukunft seine Telefongespräche belauschen, seine Briefe öffnen und seinen Schreibtisch erbrechen durfte. »Ich empfinde es als persönliche Beleidigung«, sagte ich, »daß man mich verhindert, zu lesen welche Zeitung ich will - weil angeblich ein Kommunist den Reichstag angesteckt hat. Sie nicht?« Einer antwortete fröhlich und harmlos: »Nein. Wieso? Lasen Sie denn etwa bis jetzt den »Vorwärts« und »Die Rote Fahne«?«

S. 118-119

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  Lesezitat nach
Adolf Muschg - Sutters Glück

Der erste Anruf kam am 2. November, auf den Tag genau fünf Wochen nach dem Tod seiner Frau. Zwischen beiden Ereignissen hatte Sutter keinen Zusammenhang hergestellt. Doch die Uhrzeit - 23 Uhr 17 - blieb haften, denn der Anruf wiederholte sich in der folgenden Nacht auf die Minute genau, und seither hätte Sutter die Uhr danach richten können. Das war im Wohnzimmer nicht nötig, denn die Uhr an der Wand, auf die er das erste Mal erstaunt, dann ärgerlich geblickt hatte, richtete ihren Gang sekundengenau nach einem Impuls, den sie, laut Gebrauchsanweisung, aus der Gegend von Frankfurt empfing, also über eine Entfernung von 500 Kilometern. Ruth hatte, gegen alle Gewohnheit, das Spielzeug von einem Versandhaus bestellt, vielleicht weil die zuverlässige Pedanterie seiner Zeitmessung angesichts der Frist, die ihr blieb, etwas Belustigendes hatte.

Als es läutete, saß Sutter im Märchensessel. Das Erbstück von Ruths Tante hatte seinen Namen, weil sich die Kranke auf ihm einrichtete, wenn er Märchen vorlas, Abend für Abend, um ihr die Angst vor der Nacht zu nehmen. Oft konnte er dafür sorgen, daß sie schon in diesem Sessel ein leichter Schlaf überraschte, der mit keinem Medikament herbeizulocken war. Die massiven, die ihr der Arzt verschrieben hatte, lehnte sie ab: Ich will keinen Todesschlaf, bevor ich tot bin.

Im Märchensessel hockte er nun selbst und las, ertappte sich dabei, daß er Ruths Stellung einzunehmen versuchte, nur brachte er seine langen Beine, wenn er sie anzog, zwischen den hohen Armstützen nicht unter.

Er las Kriminalromane, von denen er einen Stapel im Keller gefunden hatte. Dort gilbten sie seit seiner Studentenzeit vor sich hin. S. 11

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  Lesezitat nach
Tim Parks - Schicksal

ETWA DREI MONATE nachdem ich nach England zurückgekehrt war und endlich - abgesehen von der ärgerlichen Ausnahme des Andreotti-Interviews - die Materialsammlung für das Buch abge-schlossen hatte, mit dem ich mir nach einer ansehnlichen Karriere ein Denkmal zu setzen gedachte - ein erschöpfendes, in sich voll-kommen stimmiges und dadurch unwiderlegbares Werk, so mein Plan -, erhielt ich eines Morgens, als ich, wie der Zufall es wollte, gerade an der Rezeption des Hotel Rembrandt in Knightsbridge stand, einem Ort übrigens, der für mich gewissermaßen sowohl Erfolg als auch Versagen symbolisiert, den Anruf, der mich vom Selbstmord meines Sohnes in Kenntnis setzte. »Es tut mir leid«, sagte die Stimme auf Italienisch. »Es tut mir sehr leid«. Beim Auflegen des Hörers, noch ehe Trauer oder Schuldgefühle meinen auf Hochtouren arbeitenden Verstand benebeln konnten, wurde mir mit geradezu verstörender Deutlichkeit bewußt, daß dies für mich und meine Frau das Ende bedeutete. Das Ende unseres gemeinsa-men Lebens, meine ich. Es gibt keinen Grund mehr, sagte ich mir, schockiert von der Klarheit und Schärfe dieser jähen Erkenntnis und unter Umgehung all jener Gefühle, die man bei einem derar-tigen Verlust im ersten Moment erwarten würde, keinen einzigen Grund, warum du und deine Frau noch zusammenbleiben solltet, jetzt, wo euer Sohn tot ist. Wo euer Sohn Selbstmord begangen hat! So daß es mir, während ich stumpfsinnig über den dicken Teppich und die polierten Holzflächen in der übertrieben prunkvollen Hotellobby blickte, ähnlich wie ich jetzt, mit zwei Flugtickets in der Hand, stumpfsinnig durch die vom Streik lahm gelegte Abflughalle in Heathrow blicke, so vorkam und noch so vorkommt, als sei dies im Grunde die einzige Neuigkeit gewesen, die mir dieser Telefonanruf brachte: nicht die Nachricht vom Tod meines Sohnes, denn der ist schon vor langer Zeit gestorben, sondern die Ankündigung der unvermeidlichen und unmittelbar bevorstehenden Trennung von meiner Frau. S. 5-6

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