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Bookinists Buchtipp zu

Anna Gavalda

Zusammen ist man weniger allein

© 2005

Philibert, Franck, Camille und Paulette sind Menschen, die es nicht einfach haben. Sie sind in ihren Gefühlen verletzt, sind unsicher und finden sich in der Gesellschaft nur schwer zurecht. "Sie haben keine Freunde, keine Vertrauten, keinen Kontakt zum einundzwanzigsten Jahrhundert."

Doch der Leser schließt sie sofort in sein Herz, denn trotz aller Ticks und Macken, schildert Anna Gavalda ihre Personen warmherzig und sympathisch. Oft genügen wenige Worte, ein Blick, und der andere versteht und ist in der Lage, schlicht den nächsten Tag zu bewältigen.



Ich wünsche mir
Anna Gavalda -
Ich wünsche mir,
dass irgendwo jemand auf mich wartet

In Frankreich erschienen Anna Gavaldas Erzählungen in einem kleinen Pariser Verlag, doch es dauerte nicht lange, da avancierte sie zum Star der jungen französischen Literaturszene. Monatelang führte ihr Buch die französischen Bestsellerlisten an. Und jetzt setzt diese viel versprechende Autorin, geboren 1970, ihren Erfolgszug in Deutschland fort.

Es sind Alltagbeobachtungen, Situationen, die jeder kennt, die Anna Gavalda mit Komik und Witz, aber auch eiskaltem Ernst zum Besten gibt. Und dies in einer sehr komprimierten Form, denn die meisten ihrer hinreißenden Geschichten sind kaum länger als zwanzig Seiten.

Da leiht sich in "Junior" ein junger Angeber für einen Abend unerlaubterweise den Jaguar seines Vaters aus, denn damit lässt sich bei den Mädels kräftig Eindruck schinden. Ganz unerwartet sieht er sich am Ende der Party mit einem Wildschwein im Wageninneren konfrontiert. "Der Rest ist eine einzige Qual für Leute, die das Schöne lieben." Mit solchen Sätzen, die alles auf den Punkt bringen und keiner Ergänzung bedürfen, erzählt Anna Gavaldas ihre Storys.

Wie ein simples Handy das aufregendste Rendezvous zunichte machen kann, erlebt die schöne Spaziergängerin in "Kleine Praktiken in Saint-Germain". Aber auch ein neues Klappbett von IKEA entwickelt bei der ersten Verabredung in "Klick-Klack" ungeahnte Schwierigkeiten. Zumindest im Kopf des jungen Mannes.

Hat man mit dem Lesen begonnen, so entfalten die Erzählungen einen unglaublichen Sog. Immer mehr möchte man von Anna Gavaldas Personen erfahren. Sie erinnern an Nachbarn, Arbeitskollegen, alte Bekannte.

Bewundernswert ist die Tierärztin, die sich auf eine rüde aber höchst wirksame Art bei ihren betrunkenen Vergewaltigern rächt. "Catgut" ist eine Geschichte, die keiner vergisst, der sie gelesen hat. Harter Tobak. © manuela haselberger



   Anna Gavalda -
   Ich wünsche mir, dass irgendwo jemand auf mich wartet
    Originaltitel: »Je voudrais que quelqu' un m' attende quelque part«, © 1999
    Übersetzt von Ina Kronenberger
    © 2002, München, Hanser Verlag, 168 S., 14.90 € (HC)
    © 2003, Fischer (Tb.), Frankfurt , 7.90 € (TB)
   

          gebundenes Buch
          Taschenbuch - broschiert





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Catgut Es war ganz anders geplant gewesen. Ich hatte auf eine Anzeige in »Der Tierarzt« geantwortet, wegen einer zweimonatigen Vertretung im August und September. Doch dann ist der Typ, der mich eingestellt hat, auf dem Rückweg aus dem Urlaub tödlich verunglückt. Zum Glück war sonst niemand im Auto.

Und ich bin geblieben. Ich habe sogar die Praxis gekauft. Die Kundschaft ist nicht schlecht. Die Normannen zahlen zwar ungern, aber sie zahlen.
Die Normannen sind wie alle Landeier, wenn sich eine Vorstellung erst mal hier oben festgesetzt hat - und eine Frau für die Tiere ist nicht gut. Zum Füttern, Melken oder um die Scheiße wegzumachen, okay. Aber für die Spritzen, das Kalben, die Koliken und Gebärmutterentzündungen, muß man erst mal sehen.
Und sie haben es gesehen. Nach monatelangem vorsichtigen Beäugen haben sie mir schließlich den obligatorischen Schluck am Küchentisch gegönnt.
Klar, morgens geht's noch. Da habe ich Sprechstunde in meiner Praxis. Die Leute bringen mir vor allem Hunde und Katzen. Zum Einschläfern. Den einen bringt man mir, weil der Vater sich nicht dazu durchringen kann und das Tier zu sehr leidet, den anderen, damit ich ihn gesund pflege, weil er ein guter Jagdhund ist, und seltener bringt man mir einen zum Impfen, das ist dann ein Pariser.

Echt ätzend waren am Anfang die Nachmittage. Die Hausbesuche. Die Ställe. Das Schweigen. Man muß sie erst mal bei der Arbeit sehen, dann kann man was sagen. Wieviel Mißtrauen und, ich kann's mir vorstellen, wieviel Spott hinter meinem Rücken. Ich habe mit meiner praktischen Arbeit und meinen sterilen Handschuhen in den Kneipen bestimmt für Heiterkeit gesorgt. Dazu heiße ich Haxe. Frau Doktor Haxe.
Was für ein Gelächter.
Am Ende habe ich meine Vorlesungsskripte und alle Theorie vergessen und habe vor dem Vieh gekniet und auch geschwiegen, bis mir der Besitzer ein paar Brocken der Erklärung hingeworfen hat.
Und dann, und das ist vielleicht der Grund, weshalb ich immer noch da bin, habe ich mir ein paar Hanteln gekauft.
Wenn ich heute einem jungen Tierarzt, der sich auf dem Land niederlassen will, einen Rat geben sollte (was ich nicht glaube, nach allem, was passiert ist), würde ich sagen: Muskeln, viele Muskeln. Das ist das Allerwichtigste. Eine Kuh wiegt zwischen fünf- und achthundert Kilo, ein Pferd zwischen siebenhundert Kilo und einer Tonne. Das ist alles.
Stellen Sie sich eine Kuh vor, die beim Kalben Probleme hat. Natürlich ist es Nacht, es ist sehr kalt, der Stall ist dreckig, und es gibt fast kein Licht.
Gut.
Die Kuh leidet, der Bauer ist unglücklich, die Kuh ist sein täglich Brot. Wenn der Tierarzt teurer ist als das Fleisch, das auf die Welt kommen soll, fängt er an zu überlegen. Sie sagen:
»Das Kalb liegt quer. Man muß es drehen, dann kommt es von ganz allein.« Es kommt Leben in den Stall, man hat den Großen aus dem Bett gezerrt, die Kleine ist ihm gefolgt. Wenn endlich mal was passiert.
Sie lassen das Tier festbinden. Ziemlich fest. Keine Tritte. Sie ziehen sich aus, behalten das T-Shirt an. Plötzlich ist es ganz kalt. Sie suchen einen Wasserhahn und waschen sich mit dem Stück Seife, das dort herumliegt, gründlich die Hände. Sie streifen die Handschuhe über, die Ihnen bis zur Achselhöhle gehen. Mit der linken Hand stützen Sie sich auf die riesige Vulva und legen los.
Sie suchen in der Tiefe der Gebärmutter nach dem Kalb von sechzig oder siebzig Kilo und drehen es um. Mit einer Hand.

Das dauert, aber Sie halten durch. Wenn Sie danach im Warmen einen kleinen Schluck Calvados trinken, um wieder zu Kräften zu kommen, denken Sie an Ihre Hanteln.
Ein andermal kommt das Kalb nicht raus, es muß geschnitten werden, und das wird teurer. Der Kerl sieht Sie an und entscheidet anhand Ihres Blicks. Ist Ihr Blick zuversichtlich und machen Sie eine Bewegung zum Auto hin, als wollten Sie nur schnell die notwendigen Utensilien holen, sagt er ja.
Lassen Sie Ihren Blick über die anderen Tiere schweifen und machen eine Bewegung, als wollten Sie gehen, sagt er nein.
Wieder ein andermal ist das Kalb schon tot, und die Färse soll keinen Schaden nehmen, also schneidet man es klein und holt die Stücke einzeln raus, alles mit Handschuh.
Danach fährt man nach Hause, aber das Herz ist nicht bei der Sache.

Die Jahre sind vergangen, und ich bin weit davon entfernt, meine Schulden getilgt zu haben, aber alles läuft korrekt.
Nach dem Tod des alten Villemeux habe ich seinen Bauernhof gekauft und ein bißchen hergerichtet.

Ich habe jemanden kennengelernt, aber er ist wieder gegangen. Wegen meiner Pranken, denke ich mir. Ich habe zwei Hunede aufgenommen, der erste ist mir zugelaufen und hat auch bei mir wohl gefühlt, der zweite hat ziemlich was durchgemacht, bevor ich ihn adoptiert habe. Natürlich gibt der zweite den Ton an. In der Umgebung gibt es auch ein paar Katzen.

Ich sehe sie nie, aber die Näpfe sind leer. Mein Garten gefällt mir, er ist ein bißchen verwildert, aber ich habe ein paar Rosen, die schon vor meiner Zeit da waren und keine Anforderungen an mich stellen. Sie sind sehr schön.
Letztes Jahr habe ich mir Gartenmöbel aus Teakholz gekauft. Ziemlich teuer, aber sie sollen lange halten.
Wenn sich die Gelegenheit bietet, gehe ich mit Marc Pardini aus, der in der Schule um die Ecke Lehrer für ich weiß nicht was ist. Wir gehen ins Kino oder essen. Er spielt vor mir den Intellektuellen, was mich amüsiert, aber ich bin tatsächlich ein richtiges Landei geworden. Er leiht mir Bücher und CDs.
Wenn sich die Gelegenheit bietet, schlafe ich mit ihm. Das ist immer gut.
Gestern nacht hat das Telefon geklingelt. Es waren die Billebaudes, der Bauernhof an der Straße nach Tianville. Der Kerl hat mir was von einem Notfall erzählt, es sei keine Zeit zu verlieren.
Ich brauche nicht zu sagen, wieviel Überwindung es mich gekostet hat. Ich hatte letztes Wochenende Notdienst und arbeite seit dreizehn Tagen ohne Unterbrechung. Ich habe ein bißchen mit meinen Hunden geredet. Irgendwelchen Blödsinn, nur um meine Stimme zu hören, und habe mir einen Kaffee gemacht, schwarz wie Tinte...S. 85-88

Lesezitate nach Anna Gavalda - Ich wünsche mir, dass irgendwo jemand auf mich wartet



© 2.Mai 2002 by
Manuela Haselberger
Quelle: http://www.bookinist.de