... reinlesen
<< weitere Bücher >>
Inhaltsverzeichnis
Als ich einmal blauäugig zu Hitler hochblickte ... 13
Als ich beinahe mit Heinz Rühmann Jaguar fuhr ... 17
Als mir Theodor Eschenburg die Gesetze des
Schwimmbeckens erklärte ... 21
Mit Konrad Adenauer am Gartenzaun ... 25
Wie ich meinem Chef Josef Eberle einmal den Spaß
verdarb ... 29
Wie Heinz Baumann und ich verhaftet
wurden ... 33
Wie ich mit Rolf Hochhuth über eine Aufführung
des "Stellvertreters" verhandelte ... 39
Mit Ernst Bloch im Theater ... 46
Wie ich Helmut Griem nach einer Prügelei
wiedersah ... 50
Als mich Rudolf Noelte eindringlich durch
die Brille ansah ... 55
Wie ich mit Qualtinger auf die österreichische
Gemütlichkeit prosten sollte ... 59
Wie ich die junge Liv Ullmann zu spät
kennen lernte ... 64
Wie ich John Cranko einen Baum fällen ließ ... 68
Wie mir Josef Eberle lateinische Gedichte vorlas ... 74
Wie ich einmal Giangiacomo Feltrinelli erzürnte ... 79
Wie ich Günter Grass die deutsche Literatur
auf zwei Schultern packte ... 83
Wie ich Peter Handke mit einem Mädchen
verwechselte ... 89
Mit Klaus Wagenbach in Princeton und
fast eine Liebesgeschichte ... 93
Wie Dürrenmatt mir Cognac in den Wein
kippte ... 99
Wie ich Stan Getz hinter der Bühne
besuchte ... 103
Wie ich mit Alexander Mitscherlich in
die bessere Zukunft fuhr ... 107
Wie Renate Rasp einmal Joachim Kaiser fast
in Verlegenheit brachte ... 111
Wie Marion Gräfin Dönhoff mich zu
Karl May führte ... 115
Wie ich Max Horkheimer beim Binokel
zusah ... 119
Wie Peter Palitzsch und ich zu Landfriedensbrechern
wurden ... 123
Wie mich Benno Besson zurück nach Sezuan
schmuggelte ... 129
Als ich wegen einer Papaya Thornton Wilder
kennen lernte ... 133
Wie ich mit Otto Sander und Bruno Ganz
finnisches Bier trank ... 138
Wie Peter Handke einmal Helmut Lohner
erschreckte ... 142
Wie ich mit Romy Schneider Silvester feierte ... 146
Wie mir Biermann ein paar Quadratmeter DDR
verkaufte ... 151
Wie Walter Schmidinger meinen Studenten in
Göttingen eine Privatvorstellung gab ... 155
Wie ich durch Zadeks "Othello" neue Freunde
gewann ... 159
Wie gefährlich es ist, mit dem Schah
Ski zu fahren ... 164
Georg Hensel und zwei Witze ... 168
Wie Rudolf Augstein einmal für Ernst Jünger
sang ... 177
Wie sich mir mit Brigitte Bardot ein Traum
erfüllte ... 181
Wie ich Loriot mit den gefiederten Freunden
feierte ... 185
Wie ich Ulla Hahns Zukunft voraussah ... 189
Wie ich aus Versehen Grass mit Hitler verglich ... 193
Wie ich in Marilyn Monroes Bett schlief ... 198
Wie ich mit Helmut Dietl die Osteria
umgestaltete ... 203
Billy Wilder. Wer ist der Papst neben dem
Mann? ... 207
Wie ich auf Erich Mielkes Toilette durfte.
Durfte? Ging! ... 211
Wie Heiner Müller mich für einen guten
Polizisten hielt ... 215
Am Telefon mit Marlene Dietrich ... 219
Wie der Donnergott Walser gegen
Marcel Reich-Ranicki zu Hilfe kam ... 223
Wie ich mit Billy Wilder ins Kino ging ... 227
Wie ich einmal in Woody Allens Kinderwohnmobil
wartete ... 232
Wie Kevin Costner einmal kleiner war, als ich gedacht
hatte ... 236
Über den Wolken mit Jacqueline Bisset ... 241
Was Steven Spielbergs Film "Schindlers Liste"
auslöste ... 245
Wie ich Peter von Zahn aus dem Zug lockte ... 253
Wie ich mit Reich-Ranicki plötzlich in
Finnland war ... 257
Wie Billy Wilder mir sein letztes Drehbuch
erzählte ... 261
Wie ich Hugh Johnson pries und dem Weinpapst
eine Sehne riss ... 269
Mit Günter Grass im Regionalexpress ... 275
Wie ich mit Helmut Kohl über abgenommene
Führerscheine sprach ... 278
Register ... 282
|
Plaudereien an der Bar
Hellmuth Karasek - Karambolagen
ennen Sie Hellmuth Karasek? Ja genau, der Mann an der Seite von Marcel Reich-Ranicki im "Literarischen Quartett" und Mitherausgeber des Berliner "TAGESSPIEGEL". Sie würden sich gerne einmal bei einem Glas Rotwein mit ihm unterhalten? Gut, für den Rotwein sorgen Sie, die Plauderei übernimmt er.
In "Karambolagen", den Titel hat er dem Billardspiel entlehnt, hat Karasek seine Begegnungen im Laufe seines Berufslebens mit den Großen des Kulturbetriebes aufgezeichnet.
Da gibt es Telefonate mit Marlene Dietrich, die sich durch ihr angebliches Hausmädchen verleugnen lässt, obwohl ihre tiefe Stimme die Diva verrät. Oder die oberpeinliche Verwechslung des italienischen Verlegers Giangiacomo Feltrinelli. Karasek meint statt ihm den Autor Wolfdietrich Schnurre zu begrüßen. Und das passiert ihm nicht nur einmal, nein, er tritt gleich zwei Mal in dieses Fettnäpfchen.
Ebenso herrlich, das erste Zusammentreffen mit Marion Gräfin Dönhoff. Karasek hatte dabei, es war ein sehr heißer Sommertag, die Füße in einen Eimer Wasser versenkt und ein höfliches Aufstehen am Schreibtisch war nicht gerade einfach. In kurzer knapper Form spitzt er seine Kolumnen zu, die alle bereits im "TAGESSPIEGEL" zu lesen waren.
Ein wenig selbstverliebt, auch eitel, aber nie langweilig und jederzeit einen Witz in petto, plaudert Hellmuth Karasek charmant über interessante Zeitgenossen, die seinen Lebensweg kreuzten. Dass er sich selbst gern reden hört, immer wieder seinen Job herausstreicht, sei es als Dramaturg in Stuttgart oder als Leiter des Kulturressorts des Nachrichtenmagazins "DER SPGIEGEL", einerlei. Er kann einfach gut unterhalten, das Gespräch liegt ihm und darum könnte man diesem Mann stundenlang zuhören.
manuela haselberger
 ... reinlesen
Als ich einmal blauäugig zu Hitler
hochblickte
Im Jahr 1938, ich war gerade einmal vier, geriet
meine Kindheit in Unordnung. Bis dahin war ich
ein wohl behütetes Kind in Brünn, dem seine
Mutter ihre ganze Fürsorge und Liebe zuwandte,
während mein Vater bis tief in die Nacht Tennisschläger bespannte, um zusätzliches Geld zu verdienen. Tagsüber arbeitete er im renommierten
Sportgeschäft Balony Baumann, und ich weiß
noch, wie er mich eines Sonntags auf seine Fahrradstange setzte, um mit mir ins Grüne zu fahren;
wir gerieten aber in eine Straßenbahnschiene
und stürzten. Oder er nahm mich zu einem Autorennen mit, bis heute habe ich den beißenden
Mandelgeruch in der Nase, den das Benzin der
Rennwagen verströmte, wenn sie kurz an uns vorbeiröhrten.
1938 jedoch zog die tschechoslowakische Regierung meinen Vater zum Militär ein. Er desertierte, weil er nicht gegen die Deutschen kämpfen
wollte, und meine Mutter setzte sich mit mir in
den Zug nach Wien, zu Verwandten. Auf der Reise
fuhren wir an so gewaltigen Bahnstationen wie
Lundenburg oder Prerau vorbei, ich hörte zum ersten Mal Wurstverkäufer schreien, sah zum ersten
Mal livrierte Gepäckträger und trank zum ersten
(und für lange Zeit zum letzten) Mal Coca-Cola.
Dann kamen wir in Wien an, wo ich kurz darauf
Adolf Hitler begegnen sollte. Ich weiß noch, dass
mein Vater und meine Mutter glaubten, dass Adolf
Hitler, der damals nur "der Führer" hieß, der Retter sei, weil er meinen Vater endgültig vom tschechischen Militärdienst gegen die Deutschen befreien würde.
Wien war damals düster und finster, die abendliche Dunkelheit verschluckte die Stadt und ihre
verschlissene Pracht. Krieg lag in der Luft, wie ich
aus den Gesprächen meiner Mutter mit den Verwandten heraushörte. Sie freute sich noch nicht
auf den Endsieg, sie war schwanger und bangte um
ihre und unsere Zukunft. Trotzdem packte sie mich
eines Abends am Arm und zog mich von der Wiedener Hauptstraße wir wohnten in einer mit engen Sozialwohnungen bestückten Nebenstraße,
der Nikolsdorfer Gasse in den prächtigen Ersten
Bezirk. Auch dort war alles dunkel, keine Laternen, nur vor dem Hotel Imperial sah man noch
Licht und davor eine Menschenmenge. Meine
Mutter und ich stellten uns dazu.
Adolf Hitler, der Führer, sollte sich gleich zeigen. Ich war voller Erwartung, jetzt!, bald!, würde
ich ihn sehen. Ich weiß nicht, wie lange wir warten mussten, ich weiß nur noch, dass die Menge
"Heil Hitler!" schrie und nach vorne drängte,
und dass wir schließlich mitgerissen wurden. Als
er auf dem Prachtbalkon erschien, brach Jubel aus.
Meine Mutter nahm mich auf den Arm, damit
ich ihn besser sehen könnte. Ich sah, wie er seinen
Arm grüßend anwinkelte (oder habe ich mir das
erst später aus unzähligen Bildern zusammengereimt?). Jedenfalls sagte ich zu meiner Mutter:
"Mutti, er hat so wunderbare blaue Augen." Nun
stand Hitler schätzungsweise zehn Meter über
mir, und wirklich hell war es auch nicht, aber dennoch soll ich das mit den "wunderbaren blauen
Augen" gesagt haben erzählte in den Tagen
darauf meine Mutter immer wieder. Das ist gut
möglich, schon allein, weil viele Deutsche und
"Heim ins Reich"-geholte Österreicher das damals sagten.
Später fragte ich meine Mutter gelegentlich,
ob sie mir wirklich erzählt hatte, dass ich von den
blauen Augen Hitlers geschwärmt hätte. Aber
meine Mutter konnte sich immer weniger daran
erinnern. "Habe ich das wirklich gesagt?", fragte
ich sie, doch meine Mutter, die in der ersten Zeit
nach der abendlichen Begegnung noch froh und
strahlend darauf geantwortet hatte, mochte sich
an die Szene vor dem "Imperial" immer weniger
gern erinnern. Viele Jahre später, ich war schon
erwachsen, der Krieg war nicht nur verloren, sondern auch verdrängt, habe ich meine Mutter noch
ein letztes Mal gefragt. "Was du dir alles einredest!", antwortete sie und schüttelte mit spöttischem und missbilligendem Lächeln den Kopf.
Als ich beinahe mit Heinz Rühmann
Jaguar fuhr
Meine schönsten Sommertage in den Jahren 1941/1942, vielleicht auch noch 1943, verbrachte ich im
Schwimmbad in Bielitz. Die kurzen Sommer am
Fuße der Beskiden waren heiß, die Textilstadt an
der Grenze zu Galizien war in Österreich eine deutsche Sprachinsel gewesen, die nach 1918 an Polen fiel. Jetzt, nach Hitlers Polenfeldzug, gehörte
sie zum Gau Oberschlesien. Egal. Die Stadt hatte
ein modernes Schwimmbad mit einem Zehn-Meter-Turm. Nach der Schule ging ich in der Mittagshitze zu dem Freibad, hörte schon von weitem
den Lärm kreischender Kinder und das Platschen
von den Springern und freute mich auf das glitzernde Wasser. Das Schlimmste war, wenn mir
meine Mutter sie war mit ihren vier Kindern allein, mein Vater war "in Russland" wegen einer
Ungezogenheit das Baden verbot. Dann musste
ich zu Hause bleiben und dachte bei brütender
Hitze voller Sehnsucht an den fröhlichen Lärm
und das erfrischende Wasser.
Einmal, an einem besonders heißen Nachmittag, flüsterten mir meine Freunde zu: Stell dir vor,
wer im Schwimmbad ist! Um gleich zu antworten: Heinz Rühmann. Wir liebten damals Rühmann über alles, vor allem wegen seines Films
"Quax, der Bruchpilot" und wegen seiner schönen Frau Herta Feiler, die schwarzhaarig war und
blitzende Zähne in einem großen sinnlichen
Mund hatte. Wir stürzten uns in den Bereich, wo
es Getränke gab. Da sahen wir ihn. Klein und in
Badehose, wir erkannten seine spitze, gleichsam
fliehende Nase, den schmalen Mund, der immer
leicht im Spott verzogen schien, aber auch irgendwie traurig aussah (ein Verlierermund), sein
glattes Haar, sein durchgedrücktes Kreuz. Natürlich wagten wir nicht, ihn anzusprechen, aber wir
stupsten uns an: Er war es! Und wir erzählten uns,
dass er Urlaub habe, von der Luftwaffe. Oder dass
er für Soldaten ein Frontkonzert gebe und sich
jetzt erholen würde. Für einen Tag. Hier im Freibad.
1990 sollte ich für die Ufa, die eine Kassettenreihe mit Rühmann-Filmen zu seinem 90. Geburtstag publizierte, das Begleitbüchlein schreiben. Ich besuchte Rühmann in seinem Haus in
Oberbayern, wobei ich mich am ersten Besuchstag
hoffnungslos verfuhr, so dass ich statt um 10 Uhr
erst um 12 Uhr ankam.
In den folgenden Tagen interviewte ich Rühmann täglich von 10 Uhr bis zum frühen Nachmittag. Die Gastfreundschaft von Frau Rühmann
war überwältigend, und ich staunte, dass Rühmann Sauerkraut, Braten und Knödel aß, deftige
Kost. Danach trank er schwarzen Kaffee, der enorm
stark war. Was für ein Herz, dachte ich. Rühmann
erzählte, dass er kürzlich das Fliegen aufgegeben
habe, und bot an, mich mit seinem Jaguar zurück
nach München zu fahren. Ich erschrak und lehnte
dankend ab.
Er war äußerst kooperativ und erzählte viel.
Wie viele große Komiker war er dabei todernst,
um nicht zu sagen humorlos. Nur einmal musste
er schadenfroh kichern: Als er mir erzählte, wie
Hans Albers bei den Dreharbeiten zu "Bomben
auf Monte Carlo" im Wasser sein Toupet verloren
habe. Der Komiker beneidete und verachtete den
Helden, Geschichten von sexuellen Renommierereien des Partners schilderte er mit schadenfroher Verachtung.
Am dritten Tag unserer Unterhaltung fragte
ich ihn, ob er je in Bielitz gewesen sei, im Sommer,
im Freibad, mitten im Krieg. Er sagte kategorisch:
Nein! Nie! Wirklich niemals! Natürlich haben
wir uns auch ausführlich über die Nazi-Zeit unterhalten, und er erzählte, wie die "Feuerzangenbowle" in Deutschland nicht in die Kinos kommen sollte, weil sie sich über die deutschen Lehrer
lustig machte. Und wie er daraufhin mit dem Film
in der Aktentasche zu Hitler persönlich in das
Führerhauptquartier Wolfsschanze gefahren sei
und wie Hitler den nach Ansicht Rühmanns später populärsten Film persönlich genehmigt hatte.
Auch von Fritz Hippler erzählte er, dem Reichsfilmintendanten, der, laut Rühmann, gar kein so
schlimmer Nazi gewesen sei. Nicht einmal "Heil
Hitler!" habe man grüßen müssen, wenn man zu
ihm kam.
Später hat eine Sekretärin bei der Ufa in Hamburg meine Tonbandprotokolle mit Rühmann abgeschrieben. Und die Stelle mit Hippler hatte die
Sekretärin so verstanden: Nein, sagt Rühmann,
Hitler (er hatte natürlich "Hippler" gesagt) sei
kein schlimmer Nazi gewesen. Nicht einmal "Heil
Hitler!" habe man grüßen müssen, wenn man zu
Hitler gekommen sei. Ich frage also, lebt Hitler
noch? Und Rühmann antwortet: Ja, Hitler lebt in
Salzburg.
Wäre das so veröffentlicht worden, die Rühmann-Story (und meine) hätte umgeschrieben
werden müssen.
S. 11-20
Lesezitat nach Hellmuth Karasek - Karambolagen
|
|
|