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"Was machst du da?", fragt der Hund.

"Ich sammle Federn", sagt Lotta und dreht sich um. "Und was machst du hier!"

Der Hund blinzelt in die Sonne. Es ist die frühe Sonne mit den schrägen Strahlen. Sie ist nicht besonders warm.

Der Hund ist klein und schwarz und mager und sehr schmutzig.

"Ich habe dich gefragt, was du hier machst", sagt Lotta.

Der Hund setzt sich ins Gras und fängt an, seine rechte Vorderpfote zu lecken. Dabei zieht er die Nase kraus und leckt besonders gründlich zwischen den Zehen, wo dicke trockene Erdklumpen kleben. Er tut so, als hätte er nichts gehört.

Lotta schüttelt den Kopf und ärgert sich.

"Du bist wohl taub?"

"Nein", sagt der Hund und hört nicht auf zu lecken.

"Du sprichst wohl nicht mir jedem!"

"Nein", sagt der Hund, "nicht mir jedem."

"Schade", sagt Lotta. Der Hund hebt den Kopf und sieht sie an. Die Sonne blendet ihn. Er sieht, wie Lotta etwas aus einer großen roten Stofftasche zieht. Es ist ein Paket. Ein viereckiges Paket. Es ist in braunes Papier eingewickelt. Lotta macht es auf.

"Was hast du da?", fragt der Hund.

"Mandelkuchen", sagt Lotta und beißt ein großes Stück ab. S. 5-6
Lesezitat nach Jutta Richter - Der Hund mit dem gelben Herzen, S.


Bookinists Buchtipp zu
Jutta Richter


Der Tag, als ich lernte
die Spinnen zu zähmen



Hinter dem Bahnhof beginnt das Meer

von Jutta Richter




Die neue Paradiesgeschichte
Jutta Richter - Der Hund mit dem gelben Herzen

Was haben Lotta und Prinz Neumann mit einem Napf voll Hähnchenhaut im Schuppen von Opa Schultes zu suchen? Ist doch klar - den Hund mit dem gelben Herzen. Nur, dass das kein normaler Hund ist, sondern einer der mehrere Sprachen spricht, darunter auch die der Menschen. Und weil Lotto und ihr Bruder in aufgenommen haben, erzählt er ihnen eine Geschichte - ach was - viele! Und nicht nur irgendwelche Märchen, nein, nein, keineswegs, sondern die wichtigsten von allen, die vom Paradies, von seinem Herrn namens G.Ott, einem wundersamen Erfinder.

Aber er verrät den Kindern auch den Werdegang von Lobkowitz, das scheint eine Art Angestellter von Herrn G.Ott zu sein, kein sehr guter - er trägt einen grauen Filzhut und dazu oft auch eine Flasche Rotwein - und sein Chef, G.Ott, ist alles andere als erfreut, als er herausfindet, dass dieser teuflische Lobkowitz seine neue Erfindung namens MENSCH offenbar sabotiert hat.

Übrigens hat G.Ott auch unseren Erzähler erschaffen und er hat ihm einen Namen gegeben "HUND" - ja, "Dein Name!", sagte er zu ihm.

Nicht nur den Hund, nein, auch das Licht und die Erde, und die Wiesenweihe, die Silberente und die Fische, und selbstverständlich auch das Wasser und die Luft - das sind alles seine Erfindungen und davon erzählte G.Ott seinem HUND lange und ausführlich.

Aber es ging nicht immer alles so, wie der große Schöpfer es sich vorstellte. Und so war er eines Tages auch sehr traurig. Das war die Chance von Lobkowitz - er öffnete eine Flasche Rotwein, einen Barolo, denn Lobkowitz kannte die guten Sachen und ließ seinen Boss so lange trinken, bis dieser nicht mehr so ganz bei der Sache war. Ja eigentlich kann man sagen, dass der große Urheber ziemlich betrunken war und das nutzten seine zahlreichen Kreaturen, darunter die Menschen, auch sofort aus: Sie begannen ihn ganz bitterlich zu verspotten.

Na und das - das war zu viel für G.Ott; und deswegen warf er sie alle, alle die er erschaffen hatte, einfach hinaus aus seinem Haus und gleich auch aus seinem Garten, sogar Lobkowitz - oder vielleicht gerade ihn, weil er für den ganzen Aufruhr ja verantwortlich war! "Du Lobkowitz, wirst sie begleiten! Auf all ihren Wegen! Du wirst auf sie achten, sie lenken und leiten und lehren! Du wirst nicht eher ruhen, bis sie wissen, was Recht und Unrecht ist! Du wirst nicht eher ruhen, bis du sie wirklich zu meinem Abbild gemacht hast!".

Na ja - so ist es eben gewesen. Und seit damals suchen nun HUND und Lobkowitz die Pforte zum Garten. Das ist verdammt lang her.

Für wen ist dieses schmale Bändchen gedacht? Kleine Kinder? Auch! Warum? Weil die sich irgendwann einmal zwischen 2 und 7 die essentiellen Fragen stellen und gerne eine Denkhilfe für ihre Antworten wüßten. Aber auch größere Kinder, Jugendliche und sogar Erwachsene werden sich mit diesem "Kinderbuch" der Schriftstellerin Jutta Richter, die Theologie, Germanistik und Publizistik studiert hat (sic!), ausgenommen gerne beschäftigen, da zwischen den Zeilen wesentlich mehr steckt, als so ein kleiner Kinderwicht auf den ersten Happen überhaupt verdauen könnte.

Jutta Richter ist ein literarisches Kunstwerk gelungen, das alterslos alle Leser anspricht - ein höchst seltenes Meisterstück.

Und deswegen bekommt sie für ihr Buch einen Preis, und zwar am 17.November 2000 den Rattenfänger-Literaturpreis, der immerhin mit 10000 DM dotiert ist. Alle zwei Jahre vergibt die Stadt Hameln ihren begehrten Buchpreis, für den die Jury dieses Jahr aus über 200 Autoren wählen musste.

Renate Raecke-Hauswedell zitiert die Entscheidung der Hamelner Jury: "Der jugendliche oder erwachsene Leser wird von Einsamkeit lesen, von Freundschaft und Verrat, vom göttlichen Paradies und menschlicher Hölle. Und er wird verstehen, daß die Pforten des Paradieses nicht offenstehen, sondern wir das Teilen von Leben, Freude und Frieden auf Erden erlernen müssen."

Lesealter ab 4,5 - 99 Jahren



Jutta Richter - Der Hund mit dem gelben Herzen
© 1998, München, Hanser Verlag, 111 S.,
© 2000, München, dtv, 6.50 € (Taschenbuch)
© 2000, Potsdam, Audioverlag, 9.95 € (Hörcassetten)

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Fortsetzung des Lesezitats ...

"Und jetzt die Geschichte!" sagt Prinz Neumann, während der Hund sich die Schnauze leckt, wo noch ein bisschen Hähnchenhautfett klebt.

"Setzt euch", sagt er

EINMAL, UND DAS IST LANGE HER, habe ich Gustav Ott getroffen. Zufall, reiner Zufall. Vor mir der Sandweg, rechts eine hohe Hecke, links der dunkle Urwald. Müde war ich. Hungrig war ich. Und es wurde Nacht. Ob ich Tage oder Wochen gelaufen war, wusste ich nicht mehr. Ich wusste nur, ich war niemandem begegnet. Ode Gegend.

Es wurde also Nacht. Und ich wusste wirklich nicht mehr, wie viele Nächte ich zwischen Hecke und Urwald verbracht hatte. Finster war's, und ich wollte mich schon unter der Hecke zusammenrollen, da sah ich hinten, da wo Himmel und Sandweg zusammenstießen, irgendwas glitzern. Also weiter. Mal kucken, was da liegt.

Komm ich näher. Seh ich, das ist ein Schild! So ein Namensschild wie an Menschentüren. G. Ott steht rauf. Donnerwetter, denke ich. Scheint ja doch noch was zu kommen! Also weiter und nicht schlappmachen. Und wirklich, nach sieben Schritten steh ich vor einer alten klapprigen Gartenpforte. ...

Ich lehne mich also gegen die Pforte, und tatsächlich: ist nicht abgeschlossen, quietscht ein bisschen, und ich schlüpfe durch den Spalt und bin drin.

Ich denke, ich spinne. Scheint plötzlich die Sonne im Garten von G. Ott. Ist plötzlich gar nicht mehr dunkel. Obwohl draußen Nacht ist.

Und überhaupt: alles wie gemalt. Blumen: rote, blaue, weiße, gelbe und alle Sorten. Das war so bunt, das tat den Augen weh. Konnte ja sein, dass das deshalb zu viel für mich war, weil ich doch monatelang nur Urwald. Sandweg und Hecke gesehen hatte.

Aber dann kam die Obstwiese. Und da dachte ich: Das kommt vom Hunger. Da waren nämlich Apfel- bäume, die blühten und trugen gleichzeitig reife Äpfel. Und bei den Birnen, Kirschen und Pflaumen war es genauso. S. 21

DIE WOCHEN VERGINGEN IM GARTEN VON G. OTT. Ein Tag schöner als der andere. Himmel: blau. Sonne: warm. Regen: nachts. Ein Blühen, Wachsen und Reifen. G. Ott war noch schweigsamer geworden seit jenem Abend . Er schwieg und schien immerfort nachzudenken.

Nächtelang saß er über sein Buch gebeugt und zeichnete. Wenn ich ihn ansprach, schien er aus weiter Ferne zurückzukommen. Schaute mich an und sah mich gar nicht. ...

Ich machte mir große Sorgen um O. Ott, deshalb fasste ich mir eines Nachmittags ein Herz und fragte die Katze.

''Was hat er denn?", hab ich gefragt. "Was ist denn los mit ihm?"

Sie setzte sich auf und antwortete in einer mir unbekannten Sprache. Das war Kätzisch. Als sie merkte, dass ich sie nicht verstand, versuchte sie, etwas auf Hündisch zu sagen:

"Trraurrig", sagte sie. "Errfinderr trrrraurrig."

Es war zunächst schwierig, sich mir ihr zu unterhalten, denn sie konnte nur wenige Worte Hündisch. Aber nach einiger Zeit verstand ich die Wörter immer besser und fing sogar an, selbst Kätzisch zu sprechen. Denn sie war klug und erfahren und eine sehr sehr gute Lehrerin.

G. Ott schwieg sich aus. Und ich sprach mit der Katze. Selbstverständlich hatte sie Lobkowitz gekannt, und sie erzählte, was damals geschehen war.

"Du musst wissen, mein Junge, die Katzen sind .... S. 73
Lesezitate nach Jutta Richter - Der Hund mit dem gelben Herzen


© by Manuela Haselberger
rezensiert am 15.5.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger