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Er war vor zwei Monaten fünfundvierzig geworden und galt in Fachkreisen als einer der brillantesten Wirtschaftsanwälte des Landes. Seine amerika- nische Zulassung hatte ihn zum Experten für Firmenübernahmen und Fusionen mit schweizerisch - amerikanischer Beteiligung werden lassen. Einige der bedeutendsten mergers der letzten Jahre trugen seine Handschrift. Er verdiente viel Geld, und weil er wenig Zeit hatte, es auszugeben, war ihm einiges davon geblieben. Er hatte eine zum Glück kinderlos gebliebene Ehe mit Anstand hinter sich gebracht und lebte mit Evelyne Vogt zusammen, einer unabhängigen Frau, die einen Laden für Designmöbel aus den zwanziger und dreißiger Jahren besaß. (S.7)


Lesezitat nach Martin Suter - Die dunkle Seite des Mondes

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Martin Suter - Die dunkle Seite des Mondes

Auch bei seinem zweiten Roman hat sich der Schweizer Martin Suter wieder ein psychologisch interessantes Thema ausgewählt. Während in seinem Debüt "Small World" ein an Alzheimer Erkrankter im Mittelpunkt steht, geht es in "Die dunkle Seite des Mondes" um einen Mann, dessen Gewissen und Moral von einem Tag auf den anderen nicht mehr funktionieren.

Urs Blank, fünfundvierzig und als Wirtschaftsanwalt in einer angesehenen Kanzlei in der Schweiz sehr erfolgreich, erwischt die Midlife - Crisis mit voller Wucht. Sein beruflicher Erfolg erscheint ihm abgestanden, die Ehe mit der Galeristin Evelyn ist über die Jahre schal geworden.

Da trifft er eines Tages im Park auf die junge Lucille, die einen Flohmarktstand mit indischen Räucherwaren und billigen Seidentüchern betreibt. Urs ist von ihr hin und weg. In seiner unbändigen Lust auf Abenteuer und Abwechslung, fährt er mit Lucille zu einem Selbsterfahrungs - Wochenende, um die Wirkung halluzinogener Pilze auszuprobieren. Doch der Trip wirft Urs völlig aus der Bahn.

Er ist nicht weiter in der Lage, seine Aggressionen zu kontrollieren, Gefühle kennt er überhaupt nicht mehr. Der bislang smarte und angepasste Anwalt reagiert bei wichtigen juristischen Verhandlungen völlig unberechenbar und stößt seine Klienten vor den Kopf. Plötzlich ist er mit seiner eigenen "dunklen Seite" konfrontiert. "Alles was ich früher manchmal am liebsten getan hätte, tue ich jetzt, ohne zu zögern. Und in aller Unschuld."

Urs bemerkt seine Veränderungen wohl, kann sich ihrer jedoch nicht erwehren und zieht sich immer mehr in den Wald zurück. Hier findet der ehemalige Stadtmensch Schutz und kennt bald das undurchdringlichsten Dickicht so gut, wie früher die Hosentaschen seines Armani-Anzugs. Währenddessen wird er von der Polizei wegen Mordes gesucht.

Martin Suter hat einen außerordentlich guten psychologischen Roman geschrieben, der auf der ganzen Linie überzeugt. Die raffiniert gesetzten Thriller - Elemente sind dabei nur stimmiges Dekor.



Martin Suter - Die dunkle Seite des Mondes
© 2000, Zürich, Diogenes, 315 S., 20.90 € (HC)
© 2001, Zürich, Diogenes, 315 S., 9.90 € (TB)




Fortsetzung des Lesezitats ...

So lernte Blank Lokale kennen, von deren Existenz er keine Ahnung gehabt hatte. mit Salatbüffets, wo der Teller an der Kasse gewogen wurde; Selbstbedienungsrestaurants in Warenhäusern, die kurz vor Ladenschluß die ohnehin schon niedrigen Preise noch einmal senkten; Privatküchen großer Wohngemeinschaften, in denen jeder einen Obolus in eine von Kindern bemalte Schachtel warf; finstere Quartierkneipen, die zu Treffs der alternativen Szene umfunktioniert worden waren; makrobiorische Restaurants ohne Patent. (S.5O)

Auch Alfred Wenger machte sich Gedanken über Urs Blank. Noch selten hatte er erlebt, daß sich die Persönlichkeit von jemandem in so kurzer Zeit so radikal! veränderte. Aus dem charmanten, ausgeglichenen und amüsanten Weltmann war ein ruppiger, launischer und wortkarger Eigenbrötler geworden.
Früher konnte man sich mit Blank über alles unterhalten. Er war nicht nur ein guter Erzähler, er war ein fast noch besserer Zuhörer. Jetzt gab es für ihn nur noch zwei Themen: Urs Blank und der Wald. Was langsam ein und dasselbe wurde. (S.186)

Jetzt nahm er Kaninchen aus, als entfernte er die Batterien aus einem Kofferradio. Er registrierte diese Gefühlskälte mit Interesse und schrieb sie dem Bläuling zu. Hier im Wlald konnte sie sich nicht gegen seine Mitmenschen richten und ihn Dinge tun lassen, die er nachher mit Anfällen von Gewissensbissen bezahlen mußte. (S.208)

Lesezitat nach Martin Suter - Die dunkle Seite des Mondes


© by Manuela Haselberger
rezensiert am 29.2.2000

Quelle: http://www.bookinist.de
layout © Thomas Haselberger