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    Bildnis eines Unsichtbaren
    Hans Pleschinski

    Bildnis eines Unsichtbaren
    Der Titel erweist sich als Wegweiser, Volker ist der heute Unsichtbare, denn er ist tot. Gestorben an den Folgen von Aids und einer Krebserkrankung. Pleschinski setzt mit der Beschreibung der Jahre, die sie zusammen verbracht haben, dem verstorbenen Freund ein wunderbares Denkmal, wortgewandt, sprachgewaltig und in einem überaus eleganten Stil.
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    zur Rezension

    Leseprobe

    Die Silvesternacht zum Jahr 2000 verbrachte ich in Paris. Nach vielen Jahren besuchte ich Serge. Ich hatte Paris und damit ihn gemieden, da ich meinte, nicht noch mehr Leid ertragen zu können. Durch Aids wirkte Paris entvölkert, entzaubert. Lange hatten sie an der Seine geglaubt, dem Virus mit Rotwein und Knoblauch Paroli bieten zu können. Am Ende war Serge auf 43 Beerdigungen gewesen. Die Ile-Saint-Louis, einst Hochburg unkonventioneller Lebensfreuden, war eine stille Insel geworden. Serge selbst besaß nun woanders eine winzige Wohnung, immerhin mit Blick aufs Quartier Latin. Nur noch jedes vierte Wochenende verbrachte er in Paris. Die übrige Zeit arbeitete er von früh bis zur Abenddämmerung auf dem kleinen Weingut seiner betagten Eltern im Roussillon. Durch seinen Großvater war er ein Viertel-Spanier und hatte sich, nach furiosen Zeiten in der Hauptstadt, in einen Weinbauern verwandelt. Mit achtzehn war er nach der Lektüre von Rimbauds Gedicht Das trunkene Schiff nach Paris aufgebrochen. Mit den Versen "Ja ich, den Winter im Wesen, beflog das Gewoge, stürzte mich leibhaft und taub, wie ein kindlicher Hirnbrei, dahin über treibende Halbinseln, Höllenprologe: Ins Tohuwabohu der siegreichen Weltsudelei", mit diesem Feuer war Serge von Zuhause auf und davon.