Januar - Juni 2001
  Julie Parsons

Rache kennt kein Gebot

KRIMI

Die beiden ersten Kriminalromane von Julie Parsons verkauften sich in Deutschland recht erfolgreich. Mit "Mary, Mary" gelang der heute in Irland lebenden Autorin ein furioser Start in der Krimi-Szene. "Die Insektenforscherin" war, wenn auch von der Handlung etwas vorhersehbar, nicht schlecht, doch "Rache kennt kein Gebot" ist ihr unumstritten bester Thriller. Die Personen sind komplex angeordnet, die Verstrickungen intelligent ineinander verschlungen, ohne dass die Auflösung am Ende allzu platt wird.

  Ingrid Noll

Selige Witwen

KRIMI

Es war eine erniedrigende Erkenntnis, daß mich Erik auf Irgendeine primitive Art anzog. Er war sowohl böse als auch klug, er quälte gern, sah gut aus, er war habgierig - lauter Eigenschaften, die ich von Cora gut kannte. Im Gegensatz zu ihr war er mir aber keineswegs wohlgesonnen.
»Mit dem Trick meiner Putzfrau, die Hausschlüssel zu klauen, habt ihr mich keine Sekunde lang auf eine falsche Fährte gelenkt«, behauptete er.

  Milan Kundera

Die Unwissenheit

ROMAN Auch in seinem Roman "Die Unwissenheit" arbeitet der tschechische Autor Milan Kundera,
der seit vielen Jahren in Frankreich lebt und seine Bücher mittlerweile auf französisch verfasst, an seinem Thema: Das Leben im Exil. Selbstverständlich bezieht er die neuen politischen Verhältnisse OstEuropas mit ein, wenn seine Hauptpersonen erstmals, nachdem sie jahrelang im Ausland gelebt haben, die Rückkehr in die Heimat wagen.
  Russel Andrews

Anonymus

KRIMI

Erneut erwachte er schreiend.
Es war immer derselbe Traum, derselbe furchtbare Traum, aus dem es kein Entrinnen gab.
Aber diesmal war etwas anders. Diesmal gab es keinen Abstand, kein Gefühl der Sicherheit. Der Traum war real geworden. Die Farben leuchteten, die Töne waren scharf. Er konnte die Gesichter sehen, die Stimmen hören. Den Schmerz fühlen. Und er mußte sich das Schreien anhören. Als ihm klar wurde, daß er wach war, daß das Geräusch, das er hörte, wirklich war, unterdrückte er einen Schrei, und die körperliche Anstrengung schmerzte in seinem Hals, als würde man ihm das Geräusch aus der Kehle reißen. Er mußte sich zwingen, daran zu denken, wo er war, wer er war, um nicht erneut zu schreien. Und dann mußte er sich so fest auf die Lippe beißen, daß Blut floß. Er wußte, sonst hätte er minutenlang, stundenlang geschluchzt und geweint.

  Polina Daschkowa

Die leichten Schritte des Wahnsinns

KRIMI

Höchst interessant und sehr differenziert beschreibt Polina Daschkowa den russischen Alltag.
Gleichgültig, ob das Leben der Moskauer Neureichen, die ihre Rechnungen ausschließlich mit amerikanischen Dollars bezahlen, im Mittelpunkt steht, oder aber das Agieren eines Mafia-Paten in der Taiga.

  Zeruya Shalev

mann und frau

ROMAN

Im ersten Augenblick des Tages, noch bevor ich weiß, ob es kalt oder warm ist, gut oder schlecht, sehe ich die Arava vor mir, die Wüste zwischen dem Toten Meer und Eilat, mit ihren blassen Staubsträuchern, krumm wie verlassene Zelte. Nicht daß ich in der letzten Zeit dort gewesen wäre, aber er war es, erst gestern abend ist er von dort zurückgekommen, und jetzt macht er ein schmales, sandfarbenes Auge auf und sagt, sogar im Schlafsack in der Arava habe ich besser geschlafen als hier, mit dir. Sein Atem riecht wie ein alter Schuh, und ich drehe den Kopf zur anderen Seite, zu dem platten Gesicht des Weckers, der gerade anfängt zu rasseln, und er faucht, wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst den Wecker in Nogas Zimmer stellen, und ich richte mich mit einem Ruck auf, Sonnenflecken tanzen mir vor den Augen, wieso denn, Udi, sie ist doch noch ein Kind, wir müssen sie wecken, nicht sie uns. Wieso bist du dir immer so sicher, daß du weißt, wie etwas gemacht werden soll, sagt er gereizt, wann verstehst du endlich, daß keiner immer alles wissen kann, und da ist auch schon ihre Stimme zu hören, zögernd, sie springt über die Hefte, die auf dem Teppich liegen, über die Bücherstapel, Papa?